Text zu Lehrergesundheit & Gefährdungsbeurteilung
Hier finden Sie zum Thema Burnout folgende Artikel von Dipl.-Psych. Sigrun Wieske:
Ich erzähle Ihnen an dieser Stelle die Geschichte von Herrn Möller - einer sehr engagierten Führungskraft eines DAX-Unternehmens.
Am Beispiel dieser Geschichte erläutere ich die 5 Phasen einer Burnout-Entwicklung
5 Phasen der Burnout-Entwicklung
Phase 1.: Warnsymptome der Anfangsphase: Idealistische Begeisterung
Herr Möller ist unverheiratet, 37 Jahre alt, hat außerhalb von Arbeit keine sozialen Kontakte und lebt seit Jahren nur für seine Karriere. Er hat Betriebswirtschaft studiert, bekam nach dem Studium gleich eine Stelle in diesem Unternehmen als Verantwortlicher für einige Mitarbeiter und arbeitete mit großem Eifer. Als ich ihn kennen lernte, war er bereits 9 Jahre in diesem Unternehmen, hatte Karriere gemacht, täglich mehr als 12 Stunden gearbeitet, war wegen der Arbeit bereits 3x umgezogen und seit neustem hatte er eine ganz neue Abteilung übernommen mit 140 Angestellten.
Ich kenne ihn als einen Mann mit enorm hochgesteckten Zielen, sehr hohem Energieeinsatz, als einen, der nur für seine Arbeit lebte und offenbar keine eigenen Bedürfnisse hatte.
Dies war für Herrn Möller der größte Karrieresprung – und sein Verhängnis zugleich
Beschränkung sozialer Kontakte auf den Beruf
Unbezahlte Mehrarbeit
Hochgesteckte Ziele
Hoher Energieeinsatz
Verleugnung eigener Bedürfnisse
Phase 2: Berufsstress
Seine Aufgabe jedoch änderte sich mit dem Karrieresprung schlagartig. Bislang hatte er seine Mitarbeiter so geführt, dass diese sich auch wohl fühlen konnten. Doch jetzt sollte er die Leute dazu verdonnern, Lückenbüßer zu sein. Herr Möller sollte dafür sorgen, dass z.B. ein Techniker für einige Wochen von seiner Familie getrennt wurde und in einer anderen Stadt Abriss machen sollte. Ein anderer sollte als Bauarbeiter plötzlich Bürotätigkeiten machen, wieder ein anderer wurde alle 2 Wochen an einem anderen Ort gebraucht. Dieses Hin und Her war keine Ausnahme, sondern die Regel – und daher extrem belastend für alle.
Die Folge war die, dass alle 140 Arbeiter, die dieses Hin und Her bis dato nicht kannten, wütend auf Herrn Möller waren, dann im Laufe der Zeit teilweise krank wurden oder in den offenen Widerstand mit Hilfe der Gewerkschaft gingen.
Diese neue Aufgabe überstieg die Ressourcen von Herrn Möller und erzeugte bei ihm negativen Stress – sog. Disstress -, dem er nicht mehr gewachsen war.
Die Anforderungen nehmen zu: entweder durch eine Änderung der Aufgaben oder durch den Wechsel des Vorgesetzten oder durch privaten Stress steigen die subjektiv wahrgenommenen Anforderungen
Anforderungen übersteigen die eigenen Ressourcen
Aus Eustress wird Distress
Phase 3: Frustration
Herr Möller schaffte seine Aufgaben nicht mehr wie sonst. Zunächst versuchte er noch bis abends um 22 Uhr zu arbeiten und nahm regelmäßig Arbeit mit ins Wochenende. Dennoch merkte er, dass er seiner Arbeit wohl nicht gewachsen war. Er fühlte sich machtlos, inkompetent und stellte fest, dass er alle enttäuschte. Die Folge war, dass er nicht mehr abschalten konnte, Schlafprobleme bekam und nur noch mit 1 Liter Rotwein einschlafen konnte. Nachts wachte er auf und schlief nicht mehr richtig ein. Morgens fühlte er sich wie gerädert. Und das alles machte ihn zu einem ziemlich unausstehlichen Chef, der unzufrieden und gereizt zur Arbeit kam.
Aber er kämpfte wie ein Ertrinkender ums Überleben. Es passte ja schließlich nicht zu ihm, dass er etwas nicht packte. Dies zeichnete Herr Möller aus. Und dies zeichnet das Verhalten von Menschen mit Burnout in besonderer Weise aus.
Ich lernte Herrn Möller in dieser Phase kennen. Diese Phase dauerte einige Monate. Meinen Empfehlungen, Urlaub zu nehmen oder gar zum Arzt zu gehen, um sich für einige Wochen krankschreiben zu lassen, verloren sich im Nirvana. Er sagte: Eher würde er sterben wollen, als aufzugeben…
Dies sind Äußerungen, die ich immer wieder von Burnout-Erkrankten zu hören bekomme.Erfahrung der Erfolg- und Machtlosigkeit
Gefühl der Inkompetenz
Schuldgefühle: ich enttäusche alle…
Nicht mehr abschalten können
Schlafprobleme
Entspannung nur mit Alkohol und Tabletten
Ermüdung, Erschöpfung
Unzufriedenheit, Ärger, Gereiztheit
Trotz allem: Nicht aufgeben!
Ausgeprägte somatische Symptome wie Rücken- und Kopfschmerzen
Probleme mit Bürokratie
Da ich zu dem Zeitpunkt nicht Herrn Möller bremsen konnte, ging der Burnout-Prozess weiter
4. Phase: Apathie
Herr Möller zog sich noch mehr zurück als zuvor. Sein Widerwille gegenüber den Kunden, seinen Angestellten, dem Telefon, den E-Mails wuchs von Tag zu Tag und wich einer Resignation und Gleichgültigkeit. Den sich ständig ändernden Marschrouten von oben konnte er nur noch mit Zynismus begegnen. Er hatte einfach gar keine Lust mehr, seinen Job zu machen, andererseits konnte er sich auch keine Alternativen vorstellen (woanders ist es doch eh nicht anders…)
Zu allem Überfluss bekam er immer häufiger Rückenprobleme. Doch zum Arzt wollte er nach wie vor nicht gehen. Er litt bereits unter einer beginnenden Depression.
Rückzug
Widerwillen gegen jeden und alles
Resignation
Gleichgültigkeit
Zynismus
Verzweiflung wegen schwindender beruflicher Alternativen
Psychosomatische Beschwerden
Depressionen
5. Phase: Burnout
Ich möchte Ihnen die 10 Hauptmerkmale von Burnout nach Prof. Matthias Burisch vorstellen. Prof. Burisch ist einer der wichtigsten Burnout-Forscher im deutschsprachigen Raum. Er arbeitet in der Universität Hamburg am psychologischen Institut für Arbeitspsychologie.
Emotionale Erschöpfung
Wahrscheinlich die zentrale Komponente von Burnout. Gefühle von Überlastung und Erschöpfung, von „ich kann nicht mehr“. Dies war für Außenstehende bei Herrn Möller sehr deutlich zu sehen. Doch konnte er sich diese Erschöpfung nicht eingestehen – passte nicht in sein Selbstkonzept. Erst sein Bandscheibenvorfall lieferte ihm den Grund, ins Bett zu gehen und nichts zu tun.
Leistungsunzufriedenheit
Mangel an Zufriedenheit Mangel an Stolz auf die eigene Arbeit und Leistung. Das kann bedeuten, dass Sie das Gefühl haben, mit immer mehr Energieeinsatz immer weniger zu schaffen. Oder aber, dass Ihre Arbeit – oder was immer Sie tun – ihren Sinn für Sie verloren hat.
Herr Möller war nicht mehr stolz auf seine Arbeit. Er schaffte sie nicht so, wie man es von ihm verlangte. Daher nahm er täglich Arbeit mit nach Hause.
Distanziertheit
Gefühle, dass Sie an anderen Menschen weniger Anteil nehmen als früher, lieber auf Distanz bleiben. Dies kann sich auf die Menschen beschränken, mit oder für die Sie arbeiten, oder allgemein gelten. Beispielsweise wenn ein Arzt das Grauen überkommt, wenn er Patienten warten sieht. Oder ein Lehrer nur noch über die Dummheit der Gattung Schüler reden kann. Hier baut der Erkrankte eine innere Distanz – manchmal sehr zynische Distanz - zu den Menschen auf, die ihm - gefühlt – seine Energie rauben.
Depressive Reaktion auf emotionale Belastung
Sie haben das Gefühl, sogar an kleinen Frustrationen, Enttäuschungen oder Belastungen übermäßig zu leiden. Und es fühlt sich so an, dass die Rückkehr zum Normalzustand länger dauert als früher.
Es fühlt sich so an, als ob Sie nur noch auf Reserve fahren. Ihre Batterie ist leer, ihre Belastbarkeit tendiert gen null.
Unfähigkeit zu entspannen
Schwierigkeiten beim Abschalten von Arbeits- oder anderen Problemen, die einen bis in die Freizeit verfolgen. Dies geht meist mit Schlafproblemen einher. Achtung. Dies ist ein Warnsignal erster Güte!
Ja, und dies war eines der schwerwiegenden Probleme von Herrn Möller. Er konnte im Kopf nicht mehr abschalten, hat um einschlafen zu können, viel Wein getrunken und konnte dennoch nicht lange schlafen. Das ist ein Teufelskreis: Man geht unausgeschlafen zur Arbeit, dies führt zu weniger Leistungsfähigkeit, dies wiederum zu vielen liegengebliebenen Arbeiten und dies belastet Sie wiederum abends, nachts und rund um die Uhr und raubt Ihnen den Schlaf…
Hilflosigkeit
Gefühl des Gefangenseins, der Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, Mutlosigkeit. Dies kann in Verzweiflung gipfeln.
Es ist das Gefühl, das Sie bekommen, wenn Sie in dem erwähnten Teufelskreis sind. Sie haben das Gefühl, in einer Falle zu sitzen, aus der es kein Herauskommen gibt.
Herr Möllers Falle war die, dass er quasi zwischen den Ansprüchen von Außen und denen von Innen eingekeilt zu sein schien.
Innere Leere
Gefühl, abgestorben, leer und unlebendig zu sein, nichts mehr zu fühlen. Kein Schmerz, aber auch keine Freude. Das kann bedeuten, dass Sie sich von Ihren Gefühlen mehr oder weniger abgekoppelt haben.
Diese innere Leere war kein Hauptsymptom von Herrn Möller. Er war noch am Kämpfen – bis zuletzt.
Arbeitsüberdruss
Innerer Widerstand gegen die eigene Arbeit, Unlust, Widerwillen. Diesen Widerstand zu überwinden kostet Energie!
Auch dies kannte Herr Möller nicht. Er hatte nur einen Widerwillen gegenüber seinen Mitarbeitern, die er am liebsten gar nicht mehr gesehen hätte. Auch gegenüber seinen Chefs hatte er enorme Widerstände aufgebaut.
Selbstüberforderung
Neigung zu Perfektionismus und strengen Maßstäben für die eigene Leistung, was selbst erzeugten Stress schafft.
Das traf auf Herrn Möller 100%-ig zu. Er besaß keine Selbstfürsorge, achtete nicht auf seine Gesundheit, seine Bedürfnisse – achtete auf nichts, was ihn betraf, sondern hat sich selbst gnadenlos gedrillt, wie ein sadistischer Vater.
Aggressive Reaktion auf emotionale Belastungen
Gereiztheit schon bei unbedeutenden Anlässen. Kann sich nach außen bemerkbar machen, oder aber nur innerlich an Ihnen nagen.
So konnte Herr Möller an die Decke gehen, wenn seine Sekretärin wieder einmal über neu aufgetretene Probleme bei der Arbeitsverteilung zu sprechen kam. Aber Herr Möller ging auch dann in die Luft, wenn er seinen Schlüssel nicht auf Anhieb finden konnte oder etwas anderes Nichtiges geschah.
Erst nachdem Herr Möller einen Bandscheibenvorfall bekam, konnte er mit gutem Gewissen von der Arbeit fern bleiben. Er kam ins Krankenhaus und war für 3 Monate außer Gefecht gesetzt. Anschließend habe ich mit ihm an dem Thema gearbeitet und er konnte sich neu orientieren. Herr Möller war insgesamt 10 Monate nicht arbeitsfähig, erhielt während dessen Lohnfortzahlung und Krankengeld, einen 3-wöchigen Klinikaufenthalt, eine anschließende Reha-Maßnahme, physikalische Therapie und ein Coaching.
Burnout entsteht nicht von heute auf morgen, sondern ist grundsätzlich ein schleichender Prozess. Und das eigentliche Burnout steht am Ende dieses Prozesses.
Burnout ist – wie eben beschrieben – die Phase 5 einer Entwicklung. Burnout ist der Zustand, bei dem nichts mehr geht. Entweder die Erkrankten sind in einer Depression gelandet oder der Körper hat sie aus der Bahn geworfen. Die Erkrankten sitzen in einer Falle, aus der sie nicht mehr ohne professionelle Hilfe heraus kommen. In aller Regel erfolgt spätestens hier eine längerfristige Krankschreibung und / oder ein Klinikaufenthalt.
Am Beispiel von Ariane Fischer (Name geändert), Direktorin in einer Bank, skizziere ich Ihnen die Ursachen für eine Burnout-Entwicklung. Leider hat sie zehn Jahre vor ihrer Berentung den Hut nehmen müssen.
Ariane Fischer ist Diplom-Betriebswirtin, 52 Jahre alt, verheiratet, mit zwei erwachsenen Kindern. Sie selbst ist die älteste Tochter von drei Kindern. Beide Eltern hatten die Volksschule besucht; der Vater arbeitete Zeit seines Lebens auf dem Bau, die Mutter blieb zu Hause. Die Eltern wollten, dass aus ihrer Tochter etwas werden solle und so haben sie sie darin unterstützt – mit dem, was ihnen möglich war – das Abitur zu machen.
Als Ariane Fischer 13 Jahre alt war, wurde die Mutter schwer krank und konnte den Haushalt nicht mehr alleine führen. Die Tochter musste der Mutter neben der Schule unter die Arme greifen. Obendrein hatte sie noch auf ihre beiden jüngeren Geschwister aufzupassen.
Das Studium hat sie sich selbst finanziert, indem sie abends und an den Wochenenden arbeitete. Noch während des Studiums wurde sie mit ihrem ersten Kind schwanger und heiratete ihren heutigen Ehemann. Mit ihrer Tochter im Schlepptau schloss sie das Studium ab und gebar bald darauf ihren Sohn. Da die junge Familie finanziell knapp war, fing sie schon bald wieder an zu arbeiten – in Teilzeit. Glücklicherweise lebte sie in einer großen Stadt und bekam zwei Plätze in einem Kinderladen. Als beide Kinder schließlich in einer Walldorfschule ganztags betreut wurden, entschloss sie sich, wieder mehr zu arbeiten. Nach kurzer Zeit bekam sie einen Vollzeitjob mit Mitarbeiterverantwortung, denn ihr Chef schätzte sie sehr und erkannte ihre Fähigkeiten. So arbeitete sie zwischen 8 und 17 Uhr in der Bank. Anschließend war sie für ihre Kinder da. Zusätzlich war sie im Elternbeirat und engagiertes Kirchenmitglied. Als es ihren Eltern immer schlechter ging, kümmerte sie sich um diese. Ihr Mann hatte mittlerweile ebenfalls Karriere gemacht und war häufig geschäftlich unterwegs. Im Laufe der Jahre ist Ariane Fischer in ihrer Bank weitere Karriereschritte gegangen. Zuletzt leitete sie eine Abteilung mit 400 Mitarbeitern. Sie hatte diese Aufgabe vor drei Jahren übernommen und mit der gesamten Abteilung an- spruchsvolle Umstrukturierungen durchziehen müssen. Das hatte allen viele Überstunden abverlangt. Doch mit dem neuen Jahr freuten sich alle wieder auf ruhigere Zeiten, um die Ernte der Anstrengungen einzufahren. Doch schon im März des Jahres wurde Ariane Fischer vom Vorstand darüber informiert, dass ein großer Teil der Arbeit nach Asien outgesourct werden solle. Genaueres stand monatelang nicht fest. Sie musste schweigen. Fest stand nur, dass etwa 200 ihrer Mitarbeiter gehen mussten. Erst im Dezember sollte Ariane Fischer damit beginnen, ihren Abteilungen und Teams diese Hiobsbotschaft zu überbringen.
Mich suchte Ariane Fischer im November des Jahres auf. Sie wirkte abgekämpft und müde. Eigentlich wollte sie nur ein paar Stunden Coaching, um sich Rat zu holen, wie sie diese Hiobsbotschaft am besten überbringen könne, um die Kündigung klar, doch wertschätzend zu kommunizieren. Das konnten wir schnell klären. Im Laufe der Gespräche jedoch dämmerte ihr, dass ihr Akku nicht mal kurz leer, sondern nie richtig voll gewesen ist. Sie war ernstlich krank – das wurde ihr schlagartig klar. Ariane Fischer berichtete nun im Nachhinein, dass sie seit drei Jahren unter außergewöhnlich vielen Infekten gelitten hatte. Mindestens drei Mal im Jahr hatte sie eine über Wochen anhaltende Erkältung gehabt. Sie sei dennoch zur Arbeit gegangen, doch ein angeschlagenes Gefühl hatte sie beständig gehabt. Etwa seit dem Herbst des Jahres litt Ariane Fischer unter chronischer Erschöpfung, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, sozialem Rückzug und Konzentrationsstörungen. Da sie als starke Frau schon immer viel getragen hat, konnte sie sich diese Schwäche nicht eingestehen. So hat sie weiter gemacht – immer weiter. Da sie nicht mehr so leistungsfähig war wie sonst, wollte sie das mit noch mehr Überstunden kompensieren. Doch trotz höherem Einsatz wurden ihre Ergebnisse nicht besser. Jedes Wochenende nahm sie Arbeit mit nach Hause und konnte nicht mehr abschalten. Um abends überhaupt zur Ruhe zu kommen, nahm sie Beruhigungstabletten. Gegenüber ihren loyalen Mitarbeiter hatte sie ein schlechtes Gewissen; sie fühlte sich als Versagerin. Die regelmäßigen Besuche bei ihren Eltern waren nur noch Stress und so wuchsen die Schuldgefühle. Ihre Ehrenämter legte sie schließlich auch noch nieder – auch auf mein Anraten hin. Der Burnout kam plötzlich. Nachdem sie unter Aufbieten ihrer letzten Energiereserven allen Teams in ausführlichen Gesprächen die strategische Unternehmensentscheidung vermittelt und zwei Tage vor Weihnachten abgeschlossen hatte, brach sie in den Weihnachtsferien zusammen. Sie litt unter Panikattacken, Schwindelgefühl, Zittern, Herzrasen mit Exrasystolen und Weinkrämpfen. Sie kam während der ganzen Weihnachtsferien nicht mehr auf die Beine. Auch hinterher nicht. Ihr Körper streikte vollständig. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Dies ging monatelang – bis sie beschloss, in eine Burnout-Klinik zu gehen. Doch auch nach dem Klinikaufenthalt wurde sie nicht mehr arbeitsfähig. Mit 53 Jahren richtete sie sich darauf ein, Frührentnerin zu werden.
Anhand des Fallbeispiels von Ariane Fischer möchte ich Ihnen das Zusammenspiel mehrerer Ursachen aufzeigen. Zum einen die individuelle Disposition, also dem, was der Mensch an Anlagen und Erfahrungswerten als Ressource als auch als Ballast mitbringt. Zum anderen, die belastenden Umgebungsbedingungen, mit denen sich ein Mensch auseinandersetzen muss.
Im Folgenden beziehe ich mich zudem auf das Beispiel von Herrn Möller aus dem Blog-Eintrag "Die fünf Phasen einer Burnout-Entwicklung".
Helfersyndrom
Menschen mit Helfersyndrom haben in der Regel wenig emotionale Unterstützung von ihrem Elternhaus erhalten bzw. sind bereits als Kind in die Elternfunktion gegangen, weil die Eltern selbst diese Rolle nicht ausüben konnten. Gründe dafür können etwa Alkoholismus oder Ehestreitigkeiten sein. Ariane Fischer hat wenig Kind sein dürfen und sehr früh sehr viel Verantwortung übernehmen müssen. Sie hat gelernt, dass alles in Ordnung ist, wenn sie hilft, und wenn sie nicht hilft und „ihr Ding macht“, eine Katastrophe ausbrechen würde.
In meinen Burnout-Seminaren sehe ich außergewöhnlich viele Menschen, die wenig emotionale Unterstützung von ihrem Elternhaus erhalten haben. Ebenso häufig erlebe ich, dass die Eltern dieser Kinder von damals im Grunde gar nicht die Eltern-Rolle übernommen hatten, so dass die Kinder viel zu früh quasi erwachsen sein mussten.
Der überwiegende Anteil der Seminarteilnehmer stammen aus Elternhäusern mit einem geringen Bildungshintergrund. Selbst haben sie dann fast alle den höheren Bildungsweg eingeschlagen oder sonst innerhalb der Betriebe Karriere gemacht.
Hinter dem Geben steckt der Wunsch danach, etwas zu bekommen, was sie nie bekommen haben.
Perfektionisten
Ariane Fischer konnte nicht auf einen stabilen Bildungshintergrund zurückgreifen. Sie wusste, dass sie ihren Eltern eine Freude bereitet, wenn sie Abitur macht und erfolgreich wird. Sie wollte nicht enttäuschen und das stellt ein schwere Last dar und wurde zum Grundstein
für ihren Perfektionismus. Sowohl ihre Eltern als auch ihre Lehrer und später ihre Chefs und Mitarbeiter konnten sich darauf verlassen, dass alles, was sie in die Hand nahm, mit größter Sorgfalt erledigt werden würde.
Es sind in erster Linie die Perfektionisten, die an Burnout erkranken.
Dies sind Menschen, die sich mit 100%-iger Arbeit nicht zufrieden geben, sondern 200%-ig sein müssen.
Es sind diejenigen unter Ihnen, die eine Aufgabe ganz oder gar nicht erledigen – ganz gleich wie viel Zeit dies kostet.
Es sind die, auf die sich Ihr Chef absolut verlassen kann. Wenn der Chef Ihnen eine Aufgabe überträgt, kann er mit Gewissheit davon ausgehen, dass diese Aufgabe fehlerfrei erledigt wird und zwar in dem Zeitrahmen, den er Ihnen vorgibt. Notfalls nehmen Sie die Arbeit halt mit nach Hause…
Doch was ist, wenn Perfektionisten immer neue Aufträge erteilt bekommen? Wenn sich die Marschroute wöchentlich oder gar täglich ändert? Wenn Sie alle 25 Minuten per Mail eine neue Aufgabe zugeschickt bekommen, die Sie schnell nebenher erledigen müssen. Wenn Sie aufgrund der vielen Unterbrechungen nicht mehr zu dem kommen, was sie eigentlich tun müssten.
Wie fühlen sich Perfektionisten, wenn sie etwas liegen lassen müssen? – Als Versager!
Und was tut ein Perfektionist, der versagt hat? - Er arbeitet alles nach – und wenn es sein muss - tage- und nächtelang.
Nahezu alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an meinen Burnout-Seminaren erweisen sich als Perfektionisten.
Es sind Menschen, die für ihren Job so lange brennen, bis sie ausgebrannt sind. Es sind Menschen mit verantwortungsvollen Posten, die sich bis zur totalen Erschöpfung für ihren Beruf geopfert haben.
Es sind Menschen, die für die Arbeit leben.
Neurotizismus
In der psychologischen Forschung hat man unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale zu unterscheiden gelernt.
Die Burnout-Forschung hat nun wiederum festgestellt, dass Menschen mit einem ganz bestimmten Persönlichkeitsmerkmal besonders häufig an Burnout erkranken.
Dieses Merkmal nennt man Neurotizismus:
Es beschreibt Menschen, die folgende Merkmale aufweisen:
• emotional labil
• neigen zu Nervosität
• beklagen sich oft über körperliche Schmerzen (Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, Schwindelanfälle etc.)
• beklagen sich oft über Ärger und Ängste
• reagieren schnell auf Stress, Stressreaktionen klingen langsamer ab
Es liegt auf der Hand, dass diese Menschen leichter als andere auf Stress und Druck reagieren. Es sind Menschen, die leichter zu Opfern von äußeren Prozessen werden. Menschen, die ängstlicher und unflexibler auf Veränderungsprozesse reagieren. Frau Maslach bezeichnet diese als „verschlissene Menschen“.
Ich würde schlicht sagen, diese Menschen sind weniger belastbar als andere und somit rascher überfordert. Es ist wichtig darauf zu achten, dass sie eine Arbeit finden, die zu ihnen passt und die nicht zu hektisch ist.
Dies waren die 3 wichtigsten individuellen Dispositionen für eine Burnout-Entwicklung. Wie angekündigt, zeige ich Ihnen nun Ursachen, die in der Organisation, dem Unternehmen oder allgemein ausgedrückt, dem Umfeld des Erkrankten liegen.
Frau Maslach ist die bekannteste Burnout-Forscherin weltweit. Ihr Verdienst ist ein erheblicher Anteil unseres heutigen Wissens als auch des bekanntesten Fragebogens zur Burnout-Diagnostik – dem MBI (Maslach Burnout Inventory).
Frau Maslach hat vor etwa 15 Jahren in den USA den Zusammenhang von Burnout und Unternehmensmerkmalen untersucht. Bis dahin galt Burnout als ein individuelles Problem. Mittlerweile kennt man das Zusammenspiel von Unternehmen / Führungsstil und Persönlichkeitsmerkmalen des Erkrankten.
In ihrer Forschung konnte Frau Maslach 6 Ursachen für Burnout herausstellen, die im Unternehmen selbst begründet sind.
Anhand des Beispiels von Ariane Fischer und Herrn Möller möchte ich Ihnen diese 6 Ursachen von Burnout näher bringen.
1. Wertekonflikt
Ein Wertekonflikt liegt dann vor, wenn jemand etwas tun muss, hinter dem er oder sie nicht mit den eigenen Werten stehen kann. Weder Jürgen Möller noch Ariane Fischer konnten die geänderten Unternehmensziele mit gutem Gewissen umsetzen. Jürgen Möller musste zum „bösen Chef“ mutieren und Ariane Fischer musste die Hälfte ihrer Belegschaft entlassen, „nur“, weil global kostengünstiger produziert werden sollte.
Der Wertekonflikt ist ein Faktor, den fast alle meine Burnout-Erkrankten als Mit-Ursache für die Entstehung ihres Burnouts anführen. Was ist, wenn ich etwas tun muss, hinter dem ich nicht stehe? Wie geht es der Krankenschwester, die nur noch im Laufschritt über die Station läuft, statt Zeit für ihre Patienten zu haben? Wie geht es den Ärzten heute, die – um wirtschaftlich arbeiten zu können – die Patienten Tag für Tag durchschleusen ohne Zeit zu haben? Wie geht es Lehrern, die kaum noch Zeit für das Eingehen auf einzelne Schüler haben?
Alle diese Menschen wählten ihren Beruf mit einer bestimmten Absicht und Haltung. Alle haben eigene Werte, für die sie grade stehen möchten. Doch was passiert, wenn man diesen Menschen die Möglichkeit nimmt, diese Werte umzusetzen?
2. Mangel an eigener Kontrolle
Der Mangel an eigener Kontrolle durch die Zunahme von Vorschriften führt zu Unzufriedenheit, Ärger, Stress und gegebenenfalls zu Dienst nach Vorschrift. Anders ausgedrückt: Wenn man einen engagierten und guten Mitarbeiter oder eine Führungsperson einbremsen möchte und maximal wenig Leistung wünscht, errichtet man eine perfekt funktionierende Formalisierung sämtlicher Arbeitsprozesse und überwacht diese mit Hilfe einer Kontrollabteilung. Wissenschaftlich gesehen ist das die größte Ressourcenvernichtung, die man sich ausdenken kann. Menschen arbeiten dann am besten, wenn sie klare Rahmen, klare Aufgaben und genügend Hilfsmittel zur Verfügung gestellt bekommen.
Herr Möller bekam immer mehr Vorgaben, was er zu tun hatte. Er selbst konnte nicht mehr so entscheiden, wie früher. Wenn er sich vor dem Hintergrund seiner Erfahrung so entschieden hatte, wie er es für richtig hielt, musste er darüber Rechenschaft ablegen. Im Grunde wurde er immer mehr Handlanger eines Systems. Letztlich konnte er sich nicht mehr frei bewegen, sondern fühlte sich wie in einem Korsett.
3. Mangel an Fairness
Eine Arbeitsstelle wird als fair empfunden, wenn drei Grundanforderungen erfüllt sind:
Vertrauen, Offenheit, Respekt.
Dies konnte Herr Möller auch jahrelang genießen. Er wurde immer zeitnah von seinem Chef über Änderungen unterrichtet, hatte ein offenes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern und zu seinen Vorgesetzten und wurde mit Respekt behandelt.
Klar, dass er mit Freude Überstunden gemacht hat! Er konnte sich mit seinem Unternehmen identifizieren und hat alles für das Unternehmen gegeben.
Auch Ariane Fischer hat ihre Abteilung mit Fairness und Wertschätzung geführt. Ihre Mitarbeiter waren loyal, haben gerne für sie gearbeitet und die Balance zwischen Einsatz und Anerkennung stimmte. Die Stimmung war gut, die Mitarbeiter haben als Team gearbeitet.
Ein Mangel an Fairness beruht auf mangelndem Respekt und führt zum Verlust von Selbstwertgefühl. Obwohl dies keine neuen Erkenntnisse sind, ist unfaires Verhalten in Unternehmen häufig anzutreffen – sowohl von Vorgesetzten als auch von Kollegen. Fairness setzt Einfühlung und Mitdenken voraus. Es setzt voraus, dass man als Vorgesetzter die Ziele der gesamten Abteilung im Kopf hat und nicht affektgesteuert regiert. Doch, wer die eigene Laune nicht kontrollieren kann, der hat auf Dauer Mitarbeiter, die entweder im Widerstand oder gebrochen und somit kaum noch leistungsfähig sind. In solchen Abteilungen findet man häufig Streit und Mobbing unter den Mitarbeitern.
Führungskräfte, die häufig cholerisch sind oder aufgrund ihrer eigenen Überforderung / Burnout-Entwicklung cholerisch, unfair und ungerecht geworden sind, sollten sich für sich selbst und zum Wohle der Mitarbeiter Unterstützung suchen.
4. Mangel an Gemeinschaft
Herr Möller hatte sich sehr zurückgezogen. Wie fast alle meiner Patienten, die unter sehr großem Stress leiden. Man macht nur noch das Wichtigste. Zu mehr reicht die Kraft nicht. Und das Wichtigste ist für die meisten Perfektionisten, die Arbeit zu schaffen. Das Leben und der Arbeitsalltag reduzieren sich auf dieses Vorhaben. Kinobesuche, Freunde, sogar das Familienleben bleiben im Laufe der Monate auf der Strecke. Bei der Arbeit erscheint ein Mensch in einer Burnout-Entwicklung nicht mehr bei kollegialen Treffen. Der Kopf ist voll. Zu voll.
Mangel an Gemeinschaft zu erleben, ist häufig Folge von Teamproblemen und auch Ausdruck eines fortschreitenden Burnout-Prozesses. Gemeinschaft, Teamarbeit und soziale Kontakte sind nach wissenschaftlichen Untersuchungen die wichtigste Ressource für psychische Gesundheit. Wir Menschen sind soziale Wesen. Diverse Untersuchungen, die Umgebungen mit eingeschränkten Sozialkontakten (etwa Klinikaufenthalte, Haft oder Altenheime) untersucht haben, konnten Symptome psychischer Deprivation feststellen. Deprivation bedeutet Verlust und Entbehrung sozialer Kontakte. Im Säuglingsalter kann dies zum Tod führen, im Erwachsenenalter zu Ängstlichkeit und Depression. Das heißt: Menschen brauchen gute und unterstützende soziale Kontakte, um gesund und leistungsfähig zu sein. Sobald ein Mensch sich sozial isoliert oder isoliert wird, läuft er auf Dauer Gefahr, psychisch zu erkranken.
Ein gutes Auskommen innerhalb einer Abteilung führt zu einer entspannten Arbeitsatmosphäre und dies wiederum führt zu einer höheren Produktivität. Vorgesetzte, die den Kontakt der Kollegen untereinander fördern, haben zwar vielleicht 20 Min. Kaffe- und Raucherpausen in Kauf zu nehmen, dafür werden sie jedoch mit der besseren Leistung belohnt.
5. Arbeitsüberlastung
Kennen Sie das? Sie fahren mit einem Auto auf der A8 von Karlsruhe nach Pforzheim und das Auto wird am Berg immer langsamer. Sie können Gas geben so viel Sie wollen – mehr holen Sie nicht aus der Maschine raus. Das Auto ist demnach an die Grenzen des Machbaren gestoßen. Früher wurden die Autos zu heiß und standen – wenn man das Auto zu sehr getreten hatte – auf dem Randstreifen der Autobahn und dampften vor sich hin.
Wir erkennen die Grenzen von Maschinen als gegeben an.
Doch leider hat sich diese Erkenntnis noch nicht in Bezug auf die Produktionssteigerung von Mitarbeitern / von Menschen herumgesprochen.
Immer mehr Arbeitnehmer laufen monatelang am Limit und werden dennoch weiter getreten – bis sie nicht mehr können.
6. Mangel an Belohnung
Ich möchte diese Ursache von Burnout mit einem sehr eingängigen und wie ich finde, sehr treffenden Modell - dem der Gratifikationskrise von Prof. Johannes Siegrist erläutern.
Eine Gratifikationskrise - eine Belohnungskrise - gilt ebenfalls als sehr häufige Ursache für negativen Stress im Arbeitskontext. Hier geht es um ein Gleichgewicht aus Belohnung (Gehalt, Aufstiegsmöglichkeiten, Dienstwagen), Anerkennung und Wertschätzung. Zwischen der Ausgabe- und der Einnahme-Seite sollte ein Gleichgewicht bestehen. Eine ungesunde Schieflage entsteht, wenn dauerhaft keine Balance hergestellt werden kann. Bei einem Vorgesetzten, der diese inhaltliche Schieflage auffängt, indem er auf der persönlichen Ebene unterstützend und wertschätzend ist und dem Mitarbeiter Freiräume und interessante Aufgaben zugesteht, kommt es nicht zu einer Gratifikationskrise. Denn wichtiger als die monetäre Belohnung ist die Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter und ein gutes Arbeitsklima. Dies konnte Ariane Fischer bis zur Verkündung der Hiobsbotschaft so leben und aufrecht erhalten. Dass diese Menschen trotz des Arbeitsplatzverlustes vermutlich nicht in ein Burnout fielen lag vor allem daran, dass Ariane Fischer den betroffenen 200 Mitarbeitern in kleinen Gruppen sehr persönlich und emotional für deren Leistung dankte und und die politische Entscheidung erklärte, so dass keiner diese Entscheidung als gegen sich gerichtet interpretieren konnte. "Du bist ein toller Mitarbeiter, aber die Globalisierung zwingt das Unternehmen..."
Auch für Herrn Möller stimmte die Belohnung und Anerkennung bis zu dem Zeitpunkt, als alles anders wurde. Er bekam ein angemessenes Gehalt, er bekam Wertschätzung von seinen Untergebenen und von seinem Vorgesetzten, er hatte Aufstiegsmöglichkeiten und sein Job war ihm sicher. Das, was er bekam, wog das aus, was er leistete – also das, was von ihm verlangt wurde und das, was er von sich selbst verlangte.
Solange das Gleichgewicht zwischen Belohnung und Verausgabung (also Einnahme und Ausgabe) stimmt, ist die Psyche auch im Lot.
Doch wenn die Ausgabe die Einnahme immer wieder oder dauerhaft übersteigt, wird jedes Konto mal leer sein. Naja, beim Konto ist es ja so, dass Sie meistens ein Pölsterchen angespart haben. So ist es auch mit der Psyche. Doch irgendwann ist dieses Pölsterchen auch nicht mehr da – und sie gehen in die Miesen. Das führt leicht mal zu schlaflosen Nächten… Und so ist es auch mit der Psyche. Wir erleben negativen Stress (sog. Distress). Und nach dem Medizinsoziologen Johannes Siegrist führt diese fehlende Wertschätzung und menschliche Anerkennung in eine Krise – der sog. Gratifikationskrise.
Mit diesem Modell wird deutlich, dass Menschen, die arbeiten, menschliche Bedürfnisse haben – nämlich schlicht die, nach Anerkennung und Wertschätzung.
Die Deutschen loben zu wenig – so lese ich immer wieder in Zeitungen, die sich zum Thema der Arbeit äußern. Und die Schwaben leben ihr "net gschimpft isch globt gnug"...
Burnout ist der "Krebs der Seele" - so ziehe ich gerne den Vergleich. Den Vergleich ziehe ich aufgrund der Parallelität der Zäsur, die die beiden Krankheiten im Menschen auslösen. In beiden Fällen folgt eine Lebensbilanz. Und dieser folgen in der Regel Lebensentscheidungen, die z.T. sehr große Einschnitte bedeuten.
Burnout ist ein Ergebnis, eine logische Folge. Es ist häufig die Folge aus dem Versuch, ein Leben zu führen, das nicht zu einem passt. Stellen Sie sich vor, Sie müssen immer in der Öffentlichkeit stehen, obwohl Sie von Kindesbeinen an ein introvertierter Mensch waren. Oder stellen Sie sich vor, Sie seien ein Mensch, der sehr große Selbstzweifel hat und nach Außen immer stark sein muss. Oder aber, Sie seien ein hoch moralischer Mensch, der für seine Werte lebt und aufgrund der Position im Unternehmen Dinge mittragen muss, die man nicht mit seinen Werten vereinbaren kann.
Daher geht es bei Burnout viel mehr als bei vielen psychischen Störungsbildern um die Frage nach der wahren Identität und Persönlichkeit.
Um Burnout-Entwicklungen vorzubeugen lohnt es sich, mit den folgenden Fragen intensiv und ehrlich zu befassen. Fragen Sie Ihre besten Freude, Ihre Partnerin, Ihren Partner. Tun Sie dies bitte nicht erst aufgrund einer Erkrankung.
Diese Checkliste soll Ihnen dabei behilflich sein, Ihre persönliche Bilanz zu erstellen.
Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch 5 Jahre zu leben hätten?
Die Beantwortung dieser Frage führt Sie direkt zu dem, was Ihnen im Leben am Wichtigsten ist.
Wie viel Zeit möchten Sie mit Dingen und Menschen verbringen, die Ihnen gar nicht bis kaum wichtig sind?
Und wie wenig Zeit haben Sie für Dinge und Menschen, die Ihnen am Wichtigsten sind?
Nach K. Doppler, V. Faust u.a., abgeändert von Sigrun Wieske
Burnout ist kontextabhängig, Depression ist kontextfrei.
Eine oft zitierte Faustregel besagt, dass Burnout „kontext-bezogen“ (meist arbeitsbezogen) ist, während Depression „kontext-frei“ und allumfassend ist, also alle Bereiche des Lebens durchdringt. Es wird auch gesagt, dass Depressive immer depressiv sind, während Menschen in einer Burnout-Entwicklung, jedenfalls in den früheren Stadien, auch noch teilweise unbeschwerte Phasen haben können.
Man könnte also - sehr stark vereinfacht - sagen: Ein Lottogewinn von 1 Million Euro könnte einem Menschen normalerweise aus einem Burnout-Prozess heraushelfen — einem Depressiven (im klinischen Sinne) dagegen nicht.
Menschen im Burnout-Prozess kämpfen – Menschen mit einer Depression in der Regel nicht.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen Depression und Burnout besteht darin, dass Menschen in einem Burnout-Prozess normalerweise kämpfen (jedenfalls der aktive Typ). Möglicherweise gegen Windmühlen, sonst am falschen Ort, mit den falschen Mitteln, oder gegen sich selbst. Bevor sie sich schließlich geschlagen geben, haben sie in der Regel enorm viele Kämpfe hinter sich gebracht. Es ist unglaublich, wie verbissen sie daran glauben, alles aus eigener Kraft doch noch zu schaffen… Hilfe holen sich Burnout-Betroffene meistens dann, wenn alles zu spät ist.
Das Kämpfen ist eher nicht Bestandteil einer depressiven Episode. Im Gegenteil. Die Antriebslosigkeit und Lustlosigkeit stehen häufig im Vordergrund. Depressive Menschen geben leichter auf. Die Ursachen einer Veranlagung zur depressiven Konfliktverarbeitung liegen häufig in der Kindheit oder Jugend. Die aktuellen Auslöser können z.B. Kränkungen oder Verluste, eine Entlassung oder eine Trennung sein.
Wieso reagieren einige Menschen auf chronischem Stress im Sinne der Managerkrankheit und andere mit Burnout?
An dieser Stelle referiere ich Auszüge aus einem Artikel von Dr. Bieger, den ich auch an anderen Stellen zitiere. Am Seitenende finden Sie einen Link zum Originalartikel, den ich hier für den nichtmedizinischen Leser versuche, verständlicher auszudrücken.
Schauen wir uns zunächst die Tabelle von Dr. Bieger an. Ich habe die Tabelle ebenfalls etwas abgewandelt.
In der Tabelle finden Sie links verschiedene Stress-Hormone und Neurotransmitter. Zunächst interessiert uns das Cortisol, das bei chronischem Stress sehr stark ansteigt. Mit Hilfe des Cortisols stellt der Körper dem Menschen Energie zur Verfügung, um eine Stressanpassung energetisch hinzubekommen. Eine prima Anpassungsfähigkeit. Die Nebenwirkungen des dauerhaft sehr hohen Cortisolspiegels sind hingegen u.a hohe Cholesterinwerte, vermehrte Infekte, Schlafstörungen und Denk- und Merkstörungen (um nur ein paar Folgen zu skizzieren).
In der Tabelle finden Sie bei chronischem Stress eine starke Erhöhung des Noradrenalins, das zu einer Anpassung der Herz-Kreislaufsystems führt. Ein Bluthochdruck kann zusammen mit erhöhten Cholersterinwerten einen Infarkt (Ohr-, Gehirn- oder Herzinfarkt) begünstigen.
Dann schauen wir uns gemeinsam die Spalte der Burnout-Werte an. Sie sehen, dass das Cortisol in den Keller gerutscht ist. Die Stressanpassung funktioniert nicht mehr. Dr. Bieger beschreibt dies wie folgt: "Das Burn-Out-Syndrom stellt eine tiefgreifende Störung der Produktion von Stresshormonen (Cortisol, Adrenalin) und Neurotransmittern (Serotonin, Noradrenalin) als Folge langanhaltender Belastung dar, die individuell zur Überforderung und zum Zusammenbruch der Kompensationsmechanismen führt. Voraussetzung für diesen fatalen Verlauf der Stressreaktion sind offensichtlich genetisch disponierende Individualfaktoren, die u.a. die Syntheseleistung, die Metabolisierungsrate und die Rezeptoreigenschaften der neuroendokrinen Signalsysteme betreffen. Zwei Schwerpunkte prägen die Pathophysiologie des Burn-Out Syndroms: Der Zusammenbruch der physiologischen Balance des Stresshormon- und Neurotransmitter- Haushaltes und die gesteigerte inflammatorische Aktivität. In mehreren Untersuchungen wurde die basale und stimulierte Cortisosekretion im Speichel bei Burnout-Patienten gemessen (Grossi, 2005; Osterberg, 2009)."
Anders ausgedrückt: Es findet ein Zusammenbruch der körpereigenen Feedbackschleife statt, die für die passgenaue Produktion von Stresshormonen und Neurotransmittern zuständig ist. Die Stressanpassungsfähigkeit des Menschen bricht zusammen. Er ist völlig überfordert von kleinsten Aufgaben. Jeder Termin am Tag wird zu einer Überforderung. Der Mensch ist nur noch erschöpft.
Ob und wie dieser Zusammenbruch wieder herstellbar ist, vermag ich nicht zu sagen. Meine 20-jährige Erfahrung mit Burnout lässt mich jedoch vermuten, dass es sich bei Burnout um eine irreversible körperliche Beeinträchtigung handelt. Allerdings habe ich nur sehr wenige Menschen in meiner Praxis erlebt, die im Burnout (Phase 5) angekommen waren. Fast alle meiner Patienten und Beratungsfälle sind zum Glück rechtzeitig gekommen und konnten durch wirkungsvolle Interventionen das Ruder herumreißen.
Diagnose von Burnout mittels Hormonanalyse
Mit dieser Erkenntnis konfrontiert, dass Burnout eine neurohormonelle Antwort auf Dauerstress ist, werde ich häufig gefragt, wie man Burnout im Blut oder Urin nachweisen kann. Da ich keine Ärztin bin, verweise ich auf Endokrinologen, die hierfür ausgebildet sind und an dieser Stelle weiterhelfen können. Dr. Birger schreibt "Diagnostisch weisen sehr niedrige morgendliche Cortisolwerte im Speichel und ggf. eine gestörte Tagesrhythmik auf das Burn-Out-Syndrom hin. Die Feststellung eines gleichzeitig niedrigen ACTH belegt, dass es sich um eine zentrale, der Hypophyse vorgelagerte Blockade der HVL-NNR-Achse handelt und nicht um eine organische Insuffizienz der Nebennierenrinde. Das Tagesaktivitätsmuster der Burn-Out Betroffenen korreliert mit dem Tagesverlauf des Cortisols. Nach niedrigen Morgenwerten kann es im Lauf des Tages zu Aktivitätssteigerung mit parallelem Anstieg des Cortisols kommen. Der NA/A-Quotient ist infolge erhöhtem Noradrenalin hoch - bei fortgeschrittener sympathoadrenaler „Erschöpfung“ jedoch zunehmend auf sehr niedrigem Konzentrationsniveau. Dopamin ist meist unverändert. Serotonin ist in der Regel ebenfalls mehr oder weniger stark erniedrigt, wofür Synthesehemmung, erhöhte IDO-Aktivität und gesteigerter Substratverbrauch verantwortlich sind."
Originalartikel "NeuroStress Guide" von Dr. Bieger
http://www.cconsult.info/selbsttest/burnout-test.html
Prof. Dr. Matthias Burisch hat vor über 20 Jahren einen deutschsprachigen Burnout-Fragebogen entwickelt und diesen im Laufe der Jahre validiert.
Ich persönlich halte diesen Fragebogen für den treffsichersten, den es auf dem deutschsprachigen Markt gibt. Allerdings gibt es diesen nur noch in einer Kaufversion unter http://www.burnout-institut.eu/Burnout-Test.8.0.html
Der obige Selbsttest beinhaltet eine sehr ausführliche Auswertung Ihrer persönlichen Situation. Sie erhalten viele Hilfestellungen, Vorschläge, was Sie für sich ändern sollten.
Einen kostenlosen Kurztest, an Burisch angelehnt, gibt es unter http://www.cconsult.info/selbsttest/burnout-test.html
Ein Test ersetzt nicht den Gang zum Arzt! Sollten Sie im Test das bestätigt bekommen, was Sie ohnehin bereits befürchtet haben, dann suchen Sie bitte Ihren Arzt des Vertrauens auf oder - falls Sie Mitarbeiter einer unserer Beratungsservice-Kunden sind - holen Sie sich einen Termin, so dass wir abklären können, ob Sie tatsächlich unter Burnout leiden oder bereits in einer Depression oder anderem stecken.
In meinem Artikel "Und nachts sind alle Katzen grau" erfahren Sie viel Wissenswertes zum Thema Schlafstörungen.
Es gibt einige wirkungsvolle Möglichkeiten, den Kopf auch nachts wieder frei zu bekommen, das ewige Gedankenkreisen abzustellen.
Ein Artikel von Dipl.-Psych. Sigrun Wieske
Dieser Artikel setzt sich mit der Prävention von Schlafstörungen – im Sinne von nächtlichem Wachliegen und Grübeln - auseinander. Sie erfahren etwas über einige exemplarisch ausgewählte psychologische Gründe des nächtlichen Wachliegens und Grübelns – insbesondere aus dem Bereich der Burnout-Entwicklung.
Diese Ausführungen sollen Ihnen – liebe Leserinnen und Leser – Anregungen geben, umzudenken und konsequent die nächtlichen Gedanken zur Aufgabe des Tages werden zu lassen.
Anhand zahlreicher Beispiele aus meiner Praxis als Psychotherapeutin und Coach werden Ihnen unterschiedliche Themen nächtlichen Grübelns vor Augen geführt. Sicherlich finden Sie sich in der einen oder anderen Falldarstellung wieder. Die Beispiele sind frei erfunden und dienen Ihnen lediglich als Anregung, über die eigenen nächtlichen Gedanken nachzudenken und daraus individuell Ihre Konsequenzen für das Handeln am Tage zu abzuleiten.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Inhaltsangabe:
1 Tagesreste sind nachtaktiv
2 Anstehende größere Veränderungen als Schlafräuber
3 Zwischen Phantasie und Wirklichkeit
4 Ein kleiner Leitfaden
5 Wann haben Schlafstörungen einen Krankheitswert?
Wie Bläschen steigen die Gedanken aus der Tiefe unseres Gehirns ins Bewusstsein auf. Sobald die Ruhe einkehrt und nichts den Menschen ablenken kann, die Abwehrmechanismen des Tages nicht mehr so recht greifen, machen die Gedankenblasen „blubb“ und sind ärgerlicherweise da. Sie füllen im Nu das gesamte Denken und Fühlen aus.
Es sind die Reste des Tages, die raumfordernd um sich greifen.
Dies gilt zumindest für die Schlafstörung, die sich als häufiger Begleiter des Burnout-Syndroms einschleicht.
Beispiel: Der Kunde ist König
Herr Lehmann ist 40 Jahre alt, besitzt eine kleine Firma mit 4 Angestellten, die er von seinem Vater übernommen hat. Er ist verheiratet und kinderlos.
Herr Lehmann kommt zu mir zum Coaching. Er leidet unter Schlafstörungen, Überarbeitung, Selbstzweifel und mangelnder Freizeit.
Der Tag von Herrn L sieht so aus, dass er früh morgens um 6.30 Uhr in seiner Firma erscheint, selbst die Maschinen bedient, selbst die Ware zum Kunden bringt, selbst das Büro betreibt, Telefonate entgegennimmt, Angebote nach Feierabend schreibt, bis 24 Uhr seine Mails liest und bearbeitet und – da er nicht nein sagen kann – häufig an den Wochenenden arbeitet.
„Der Kunde ist König“ und „Computerarbeit ist keine Arbeit, sondern Spielerei“ sind die väterlichen Normen, die er verinnerlicht hat. Somit duckt er vor den Kunden, lässt sich unter Druck setzen, wird beschimpft, ohne sich wehren zu können. Parallel beginnen die Angestellten sauer auf ihn zu werden, weil sie so häufig Überstunden machen müssen. Seine Frau fragt sich, wozu sie einen Ehemann hat, die Freunde rufen nicht mehr an – auf Deutsch: die Hütte brennt.
Nachts liegt Herr Lehmann wach, weil ihm einfällt, dass er für den einen Kunden die Arbeit nicht termingerecht fertig bekommen wird. Er plant in Gedanken, wie er – ohne weiteren Ärger zu bekommen – dennoch es irgendwie hinbekommen könnte. Dann fällt ihm ein, dass der Kunde B schon seit 3 Tagen auf ein Angebot wartet und dies am Abend in der Mail angemahnt hatte. Dann ist da noch die Wirtschaftskrise…
Es dauert lange, bis Herr Lehmann in den Schlaf findet. Die Tagesreste scheinen unlösbar.
Der Teufelskreis ist klar: Der dauergestresste Mensch, dessen Stresshormone selten, kaum bis nie abgebaut werden, „kommt nicht runter“, bleibt immer auf Habachtstellung und kann seine Gedanken und Gefühle nicht in dem Moment abstellen, wenn sein Kopf das Kissen berührt.
Nein, er bleibt vielleicht 1 Stunde, vielleicht die halbe Nacht wach, grübelnd, unruhig im Bett liegen. Er steht am nächsten Tag gerädert auf, erlebt sich bei der Arbeit als unzureichend, nicht effektiv, macht vielleicht Fehler, schafft sein Pensum nicht und geht mit dem Kopf voller Arbeitsgedanken, Selbstvorwürfen und Schamgefühlen nach Hause, um auch die nächste Nacht in Gedanken zu verbringen.
An dieser Stelle lauert die Gefahr der Sucht. Viele Menschen halten die Schlafstörung nicht aus. Um runterzukommen trinken sie größere Mengen Alkohol oder/und nehmen Schlaftabletten zu sich. Klar, für eine kurze Krise kann das ok sein. Aber wird aus dieser Krise Normalität, lauert die Abhängigkeit: „Ich kann nicht mehr ohne Alkohol oder/und Schlaftabletten schlafen.“
Wer nicht mehr ohne Suchtmittel schlafen kann – oder glaubt, nicht mehr schlafen zu können -, muss beginnen, die Ursachen für die Schlafstörung zu erkennen und diese zu bekämpfen.
So auch Herr Lehmann.
Der Kunde ist König – Teil 2:
Herr Lehmann sucht sich Hilfe im Coaching. Er lernt die tradierten Vorstellungen des Vaters zu relativieren. Er lernt anzuerkennen, dass Arbeiten am Computer wertvolle und wichtige Arbeiten sind. Ohne dies läuft eine Firma nicht.
Er lernt, dass auch er als Chef einer kleinen Firma sich auf Augenhöhe mit den Ansprechpartnern der anderen – häufig sehr großen Firmen – befinden kann und dass er einen respektvollen Umgangston erwarten kann.
Er lernt modernes Zeitmanagement. Er geht in die Führungsrolle, lernt zu delegieren, hält sich und seinen Mitarbeitern an Wochenenden den Rücken frei.
Er lernt, sich abzugrenzen: die Arbeit von der Freizeit zu unterscheiden. Er ruft seine Mails morgens zwischen 9 und 12 Uhr ab und bearbeitet diese dann. Abends arbeitet er nicht mehr am PC. Mittags bleibt er nicht mehr in der Firma, sondern geht nach Hause zum Essen und Ausruhen. Somit lebt die Beziehung zu seiner Frau wieder auf und er unterbricht die Stressspirale und beamt sich täglich ganz runter.
Den Alkohol trinkt er nicht mehr „um zu“ – also um runter zu kommen, sondern nur noch zum Essen. Sein Schlaf ist wieder normal. Wenn er grübelnd wach wird, dann liegt neben seinem Bett ein Notizbuch, in das er sofort seine Gedanken niederschreibt, damit sie aus dem Kopf sind. Ich nenne dies das „Externalisieren des Gehirns“. Dinge, die man sich merken möchte, haben die Angewohnheit, im Kopf umher zu spuken. Man lässt diese nicht los. Sind sie notiert, kann man sie getrost loslassen. Sie sind ja auf dem Notizzettel…
Veränderungen machen häufig Angst. Man weiß nicht, was nach einer größeren Veränderung auf einen zukommt.
Tagsüber kann der Mensch gut verdrängen, sich ablenken, die Realität beschönigen. Doch nachts funktionieren diese Mechanismen nicht mehr. Im Gegenteil: Die Selbstzweifel werden grundsätzlich. Die Zukunft wird schwarz. Hoffnungslosigkeit nimmt sich den Raum.
Beispiel: Eheprobleme
Frau Hansen ist seit 30 Jahren verheiratet, hat 2 Kinder, die bereits außer Haus sind und einen Teilzeitjob. Ihr Mann hat eine gut dotierte Stelle in einer Bank. Gemeinsam besitzen sie ein Haus, eine Mietswohnung und 2 Autos.
Ihr Mann geht seit Jahren immer wieder fremd. Er spricht kaum mit ihr, sie leben seit Jahren aneinander vorbei.
Frau Hansen ist unglücklich und wütend. Doch seit Jahren scheut sie sich davor, sich zu trennen. Sie würde so gerne dieser Demütigung entfliehen, kann es jedoch nicht. Sie schläft immer dann schlecht, wenn er mal wieder auf „Geschäftsreise“ ist. Sie weint sich in den Schlaf. Ihre Freundinnen verstehen nicht, wieso sie sich das bieten lässt. Aber sie fühlt sich unfähig, alleine zu leben und sie hat Angst, finanziell nicht über die Runden zu kommen.
Die Angst, zu verarmen, ist angesichts der Häuser und der Ersparnisse und der zu erwartenden Rentenausgleichsansprüche irrational. Eigentlich. Doch Frau Hansen weigert sich, sich bezüglich ihrer Ansprüche beraten zu lassen. Sie würde sich somit als Verräterin fühlen. Zudem wäre in dem Moment der Zustand dokumentiert.
Sie nimmt ihren Mann in Schutz, leidet unter dem, was er ihr nicht gibt, leidet jahrelang, schläft jahrelang schlecht – doch sie ändert nichts.
Veränderungen machen mitunter so große Angst, dass das bekannte Leid eher zu ertragen zu sein scheint, als das neue unbekannte Land. Viele Menschen „entscheiden sich“ – aus Angst vor dem Unbekannten – für den Leidensweg, dem nächtlichen Wachliegen und landen nicht selten in der Depression.
Frau Hansen befand sich in meiner psychotherapeutischen Behandlung. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich konnte ihr nicht helfen. Zumindest nicht sofort. Sie war fixiert. Sie konnte nicht loslassen. Sie blieb in ihrer Abwärtsspirale. Kam nicht aus ihrer Opferrolle heraus. Sie schien sich gar zu weigern, jedwede gedankliche Veränderung zuzulassen - sei sie auch noch so klein. In meiner Rolle als Therapeutin fühlte ich mich hilflos und unfähig, etwas zu beeinflussen. So, wie sie sich fühlte. Ich sah zu, wie sie sich immer kleiner, hilfloser und depressiver fühlte. Wie sie nächtelang wach liegen musste, weil sie auch nachts nicht loslassen konnte - eine Voraussetzung für den Schlaf. Menschen, die sich im Kreis drehen, sich nicht verändern (wollen), die aus Rache keine Schritte machen sind nur sehr eingeschränkt therapierbar.
Daher empfahl ich zusätzlich zur Einzeltherapie ein Seminar bei einer Kollegin - nur für Frauen. Hier lernte sie Frauen kennen, die zum Teil weit Schlimmeres erlebt hatten und dennoch den Blick nach vorne wandten. Sie wurde stärker, lernte ihrer Wut und Enttäuschung einen Ausdruck zu verleihen. Sie begann zu malen und traf sich mit einigen Frauen aus dem Seminar zum Wandern. Allmählich löste sie sich aus ihrer Starrheit und wurde zunehmend lebendiger.
Sie hat sich nicht von ihren Mann getrennt, hat aber gelernt, ohne ihn ein Leben aufzubauen und ihn als Sicherheit zu sehen. Eine Sicherheit, die nicht auf Geld basiert, sondern auf das Gefühl, nicht alleine zu sein. Die Schlafstörung hat sie besiegt. Sie schläft allerdings in ihrem eigenen Zimmer. Die nächtliche Nähe zu ihrem Mann konnte sie nicht mehr ertragen.
Kennen Sie den Konjunktiv?
Was könnte…? Was würde er sagen…? Was könnte passieren…? Wenn….. dann…..! ?
Der Konjunktiv ist wie das Öl im Feuer der Angst. Je weniger Fakten ich zur Verfügung habe, umso größer die Phantasie. Und nachts ist diese kaum zu bremsen…
Beispiel: Angst vor dem klärenden Gespräch
Herr Bayer ist 52 Jahre alt, arbeitet in einer großen Versicherungsgesellschaft im Außendienst. Die Arbeit hat ihm all die Jahre viel Freude bereitet. Bis zu seinem Burnout. Seit 1 Jahr ist Herr Bayer krankgeschrieben. Derzeit befindet er sich in der Wiedereingliederung.
Als Außendienstmitarbeiter bedeutet dies eine finanzielle Einbuße ohne Gleichen. Sein Grundgehalt ist sehr gering, das eigentliche Gehalt verdient er über Provisionen. Nun kann er nicht mehr so arbeiten, wie er möchte. Die Konzentration ist kaum noch vorhanden, er merkt sich die Daten der Kunden nicht mehr, er ist nach 4 Stunden Arbeit völlig ausgelaugt. Er weiß, dass er diese Arbeit nicht mehr so weiter machen kann, sieht jedoch keine Möglichkeit einer Veränderung. Er hat Angst, mit seinem Chef darüber zu sprechen und schiebt dieses Gespräch über Monate hinweg vor sich her. Dieses Schieben bedeutet, dass er nie klar sieht, dass er jede Nacht wach liegt und sich ausmalt, wie der Chef reagieren könnte. Das Phantasieren bedeutet Dauerstress.
Schließlich hat dieses Gespräch doch stattgefunden – überraschenderweise hat ihm sein Chef Aufstiegsmöglichkeiten bei festem Gehalt in Aussicht gestellt… Das hätte Herr Bayer nie gedacht. Und siehe da: er kann wieder schlafen – zumindest überwiegend. Es bleibt noch ein Rest Angst vor der konkreten Veränderung, aber die ist überschaubar.
An diesem Beispiel wird deutlich, wie wenig Phantasie und Wirklichkeit miteinander zu tun haben können. Daher ist es enorm wichtig, die Angst zu reduzieren durch ein klärendes Gespräch oder durch das Einholen von Fakten. Angst lähmt. Angst macht krank, weil Angst Stress bedeutet. Angst führt ggf. in die Depression. Angst beherrscht das Denken des Nachts. Das führt zu Schlafstörungen.
Beispiel: Mobbing
Frau Hofmann arbeitet seit 10 Jahren in einer Werbeagentur. Sie ist mit ihren 40 Jahren die älteste Mitarbeiterin. Für den Chef war sie bislang die wichtigste Ansprechpartnerin.
Seit sechs Monaten ist eine neue Kollegin eingestellt worden. Frau Hofmann war dafür zuständig, die neue Kollegin einzuarbeiten. Einen rechten Zugang zu ihr konnte sie nicht finden.
Seit einiger Zeit hat Frau Hofmann den Eindruck, dass der Chef die Neue freundlicher grüßt als sie. Und sie wird den Eindruck nicht los, dass er ihr die angenehmen Aufgaben gibt, wohingegen sie sich mit den wirklich schwierigen Dingen herumquälen muss.
Sobald sie ihre Kollegin versucht, darauf anzusprechen sagt diese, dass sie Gespenster sähe.
Frau Hofmann ist sich jedoch sicher, dass ihre Wahrnehmung stimmt – egal, was die anderen zu ihr sagen. Sie steigert sich immer weiter hinein in ein Mobbing gegen sich, interpretiert Telefonate gegen sich gerichtet, deutet alle Bewegungen im Betrieb als Versuch, sie abzusägen.
Als sie schließlich – nach vielen Monaten nächtlichen Wachliegens und Grübelns – sich ein Herz fasst und mit ihrem Chef spricht, schießt sie über´s Ziel hinaus, wirft ihm viele Dinge vor, die überwiegend in ihrer Phantasie bestehen und beginnt - aus der Sicht des Chefs betrachtet – aus heiterem Himmel zu weinen.
Erst jetzt begreift ihr Chef, wieso sich ihr Verhalten so sehr verändert hat und wieso sie so müde aussieht. Und allmählich dämmert ihm, was sich in der Phantasie seiner Mitarbeiterin festgesetzt hat. Im Laufe des Gesprächs lassen sich viele Situationen aufklären. Unter anderem erfährt sie, dass die „Neue“ die Tochter eines Bekannten ihres Chefs sei. Der Chef wollte demnach gut vor seinem Bekannten dastehen und hat die Neue somit besonders gefördert und freundlich behandelt. Sie – Frau Hofmann – schätze er wie eh und je als loyale und gute Mitarbeiterin.
Wie Sie sehen, war die Wahrnehmung von Frau Hofmann durchaus nicht verkehrt. Nur ihre Schlussfolgerungen unterlagen nicht mehr dem Regiment der Fakten, sondern dem der Phantasie – überwiegend die der Nacht.
Natürlich kann man fragen, wieso sie nicht vorher ihren Chef gefragt hat usw. Aber manchmal ist der Mensch nicht logisch, sondern psycho-logisch. Diese Wahrnehmung hat bei Frau Hofmann alte negative Erinnerungen an ihre Schulzeit getriggert. Allerdings unbewusst. Diese alten Erinnerungen wurden nun vermischt mit den aktuellen Wahrnehmungen und Gefühlen. Und diese gefährliche Mischung aus schlimmen Erlebnissen von Mobbing in der Schulzeit und der fehlenden Realitätsüberprüfung führten diese Frau nahezu an den Rand ihrer Arbeitsfähigkeit.
Wie eingangs skizziert, sind es häufig ungelöste Themen des Tages, die uns am Einschlafen oder Weiterschlafen hindern. Um Einschlafen zu können, braucht der Mensch einen zeitlichen und räumlichen Abstand zum Thema. Doch in Zeiten der ständigen Erreichbarkeit, wird es zunehmend schwerer, sich Abstand und Freiräume zu schaffen. Daraus resultieren folgende „Abschalt-Regeln“:
Eine Schlafstörung hat dann Krankheitswert, wenn folgende diagnostische Kriterien erfüllt sind: (ICD10, F51.0 – nichtorganische Insomnie)
• Klagen über Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen oder eine schlechte Schlafqualität.
• Die Schlafstörungen treten wenigstens dreimal pro Woche mindestens 1 Monat auf.
• Es besteht ein überwiegendes Beschäftigtsein mit der Schlafstörung und nachts und während des Tages eine übertriebene Sorge über deren negative Konsequenzen.
• Die unbefriedigende Schlafdauer oder -qualität verursacht entweder einen deutlichen Leidensdruck oder wirkt sich störend auf die Alltagsaktivitäten aus.
Eine Schlafstörung ist häufig ein Symptom einer depressiven Störung. Die diagnostischen Kriterien einer depressiven Störung finden Sie im Internet unter den Begriffen ICD10, F32
Da ich mit diesem Artikel lediglich beabsichtige, die Prävention herauszuarbeiten und nicht die Behandlung, beende ich diesen Artikel an dieser Stelle.
Tipps zum Weiterlesen:
Mit dem Thema Angst vor Veränderungen setzt sich die Fabel von Spencer Johnson auseinander: Die Mäusestrategie für Manager: Veränderungen erfolgreich begegnen – Eine schöne Lektüre mit viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.
Und dass es nicht „normal“ ist, dass der Mensch en Block seine 7-8 Stunden schlafen muss, zeigt erfrischend geschrieben ein Artikel der Süddeutschen Zeitung. http://www.sueddeutsche.de/wissen/2.220/nacht-und-geld-das-geschaeft-mit-dem-schlaf-1.1004359