Prozessbegleitung - Treiber und Hindernisse

Treiber

1 Ganztagsbeschulung: Spätestens seit der Jahrtausendwende entwickelt sich eine rasant wachsende Nachfrage nach einer ganztägigen Beschulung und/oder Betreuung. Diese Tendenz macht die Einrichtungen von Mensen notwendig und führt häufig zu einer geänderten Rhythmisierung der Unterrichtsstruktur mit längeren Pausen um die Mittagszeit und eine Abkehr von den 45minütigen Einzelstunden.
 
2 Heterogenität der Lerngruppen: Die mit der Dreigliedrigkeit des Schulsystems verbundene Grundannahme einer (leistungs-)homogenen Klasse erweist sich vielerorts als nicht mehr tragfähig, es etablieren sich leistungsheterogene Beschulungsformen (Sekundarschulen, Stadtteilschulen, Gemeinschaftsschulen, Gesamtschulen etc.) oder in den Regelformen der Real- und Hauptschulen wird der Erwerb von verschiedenen Schulabschlüssen in einer Klasse/einem Jahrgang ermöglicht. Zudem nimmt der Zulauf zur Schulform ‚Gymnasium‘ deutlich zu, wobei deren Schülerschaft häufig leistungsheterogener wird und damit zugleich gerade in ländlichen Gebieten die Existenz der anderen Schulformen gefährdet wird.
 
3 Vom Unterricht zum Lernen: Parallel erfolgt in der Pädagogik ein Umdenken weg vom Leitbild des belehrenden, häufig auch lehrerzentrierten Unterrichts zu einem auf die eigene Aktivität orientierten Lernprozess der Schüler, der individualisiert und eigenverantwortlich ablaufen kann und den die Lehrkraft unterstützt. Die belehrende Lehrkraft wird zum lernunterstützenden Lernbegleiter.
 
4 Digitalisierung: Der Einsatz digitaler Unterstützung in den Lernprozessen bei der Informationsrecherche, bei der Erklärung und Demonstration von Vorgängen, beim Training von Skills oder wiederkehrender Anwendung und bei der (auch ungleichzeitigen!) Überprüfung des Leistungsstandes ermöglicht eine bisher nicht gekannte Individualisierung des Lernens.
 
5 Inklusion: Bundesweit zwar noch zögerlich, aber tendenziell ebenfalls zunehmend ist die gemeinsame Beschulung von Kindern mit verschiedenen Handicaps/sonderpädagogischem Förderbedarf in den Regelschulformen. Auch dadurch wird die Heterogenität in den Klassen und Schulen weiter zunehmen.
  

Hindernisse

1. Zeitdruck: Die Bereitstellung zusätzlicher Räume oder gar ganzer Schulen sowie die Abwicklung des Sanierungsstaus müssen sehr schnell erfolgen, da in vielen Fällen (insbesondere in Metropolregionen) die Kinderzahl rasant steigt. (Hamburg z.B. hat zu Beginn des Schuljahres 19/20 ca. 15.000 Kinder in die ersten Klassen eingeschult, während es zum selben Zeitpunkt an 1Jährigen bereits 21.000 Kinder gibt – für die Differenz müssen in 6 Jahren entsprechende zusätzliche Grundschulklassen vorgehalten werden. Infolge dieses Zeitdrucks greift man allzu leicht auf ‚bekannte‘ (Schulbau)lösungen zurück oder reagiert mit standardisierten Bauten in Modulbauweise.
 
2. Unkenntnis und Resignation: Schulleitungen und Lehrkräfte kennen häufig keine baulichen und pädagogischen Alternativen zum vorherrschenden Bestandsbau in Form von Flurschulen und Klassenraumprinzip – man ist mit kleinen Veränderungen, Anbauten oder kosmetischen Operationen häufig schon zufrieden. Die grundsätzliche Strukturfrage der Lernorganisation, auch in Folge der Digitalisierung, wird vielerorts noch ausgeblendet.
 
3. Personalmangel bei den Schulträgern: In den Jahren seit 1989 sind viele Fachämter in den Behörden aus Spargründen personell ausgeblutet (worden), heute ist es schwierig, qualifizierte und vor allen Dingen schulbauerfahrene Fachleute zu akquirieren. Zudem neigen Ämter und deren Verantwortliche tw. eher dazu, eigene Schulerfahrungen zu reproduzieren als eine Neukonzeption von Schulen zu wagen (es gibt aber zum Glück hier auch sehr positive Ausnahmen, bei denen die Ämter deutlich weiter sind, als die Schulen selbst!)
 
4. Spardruck: Auf Grund der jahrelangen Investitionsverschleppung im Schulbau besteht ein ungeheurer Spardruck bei gleichzeitig boombedingter Baupreisexplosion.  
 
5. Strukturkonservativismus: Es erscheint im politischen Diskurs häufig nicht als opportun, gesellschaftspolitische Veränderungen (schulstrukturelle Fragen, Inklusion, echte Ganztagssysteme) zu thematisieren oder demographische Entwicklungen (Migration und ihre schulische Bewältigung) positiv und produktiv steuern zu wollen – dies fördert einen nicht lösungsorientierten Strukturkonservativismus, die fruchtlosen schulpolitischen Debatten der letzten 40 Jahre sind ein beredtes Beispiel dafür.